Früher galt das Prinzip, dass in einem Betrieb nur ein Tarifvertrag gültig war. Das war arbeitsrechtlich festgeschrieben. Im Jahr 2010 wurde die Tarifeinheit aufgelöst, gilt aber nun wieder infolge des neuen Tarifeinheitsgesetzes. Der Bestand des Tarifeinheitsgesetzes, das ab dem 10. Juli 2015 gilt, ist unklar. Kritik daran hatte es schon im Vorfeld gegeben. Einige Gewerkschaften hatten angekündigt, das Gesetz nicht akzeptieren zu wollen.

Der ver.di-Vorstandsvorsitzende Frank Bsirske hatte sich schon im November letzten Jahres dafür ausgesprochen, dass die Tarifeinheit mit gewerkschaftlichen Mitteln sicher gestellt werden solle. Generell ist sie aber wünschenswert, denn so wird verhindert, dass Angestellte gegeneinander ausgespielt werden.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe teilte mit, dass aktuell vier Verfassungsbeschwerden mit den Aktenzeichen: 1 BvR 1571/15, 1 BvR 1582/15, 1 BvR 1588/15 und 1 BvR 1707/15 anhängig sind, die sich mit dem Tarifeinheitsgesetz befassen.

Ver.di kündigt Verfassungsbeschwerde an

Der zentrale Aspekt des neuen Gesetzes betrifft den Paragraph 4a, in dem Regelungen bei mehreren, in einem Betrieb existierenden Tarifverträgen enthalten sind. In einem solchen Fall gilt das Mehrheitsprinzip. Damit gilt der Tarifvertrag der Gewerkschaft, in der ein Großteil der Beschäftigten dieses Betriebes Mitglied sind. Mit dieser Regelung wurde das Tarifvertragsgesetz geändert.

Die Gewerkschaft ver.di hat zwar einen Vorteil von der Normierung der Tarifeinheit, wenn mehrere Tarifverträge in einem Betrieb gültig sind, dennoch hatte der ver.di Vorstand Frank Bsirske schon im April eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz angekündigt.

Die Gewerkschaft arbeitet derzeit eine Klageschrift aus, um sich gegen das neue Gesetz zu wehren. Die zuständige Pressestelle gab an, dass möglicherweise auch die Ermittlung der relevanten Mitgliederzahlen in einem Betrieb juristisch anzufechten ist. Ob bei einer Klage die unmittelbare Betroffenheit vorliegen muss, sei ebenfalls noch nicht geklärt.

Kleinere Spartengewerkschaften durch Tarifeinheitsgesetz benachteiligt

Kleinere Spartengewerkschaften, z. B. der Marburger Bund haben einen Nachteil durch das neue Tarifeinheitsgesetz. Das betrifft solche Gewerkschaften, die sich auf bestimmte Berufsgruppen z.B. im Produktionssektor wie der Automobilindustrie spezialisiert haben und solche, die in Konkurrenz zu den großen Gewerkschaften stehen, z.B. die Christliche Gewerkschaft Metall (CGM) mit der IG Metall.

Wenn also die Ärztegewerkschaft Marburger Bund einen Tarifvertrag für die in einem Krankenhaus tätigen Ärzte schließt, die Gewerkschaft ver.di aber zur gleichen Zeit Konditionen für alle medizinischen und pflegenden Angestellten ausgehandelt hat, wird letzterer zur Anwendung kommen. Denn ver.di hat viel mehr Mitglieder.

Marburger Bund, dbb Beamtenbund und CGM fürchten um Koalitionsfreiheit

Der Marburger Bund sieht in dem neuen Gesetz eine Benachteiligung der berufsspezifischen gewerkschaftlichen Interessenvertretungen. Indem große Gewerkschaften bevorteilt werden, werde auch die freie Wahl einer Mitgliedschaft in Frage gestellt. Im Prinzip sage das Tarifeinheitsgesetz aus, dass das Grundrecht der Koalitionsfreiheit einer formlosen Verfassungsänderung unterzogen werden soll. Der Marburger Bund unterstütze daher die Verfassungsbeschwerde.

Auch die Christliche Gewerkschaft Metall (CGM) argumentiert mit der Koalitionsfreiheit und sieht außerdem noch eine Einschränkung junger Gewerkschaften. Ihre Tarifverträge werden zukünftig als Alternative nicht mehr attraktiv sein und deutlich weniger Mitglieder anlocken. Ob dieses Argument vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Gewicht haben, ist jedoch unsicher.

Auch andere Gewerkschaften wie der dbb Beamtenbund und die Tarifunion werden die Verfassungsklage unterstützen. Der dbb kritisierte nicht nur die Einschränkung der Koalitionsfreiheit aus Artikel 9 des Grundgesetzes. Perspektivisch sieht er sowohl für viele Gewerkschaften als auch für Arbeitnehmer keine Möglichkeit mehr, eigenständig und frei für die eigenen Arbeitsbedingungen einzustehen.

Das Bundesverfassungsgericht muss nun klären, ob Artikel 9 des Grundgesetzes tatsächlich gefährdet ist. In einem solchen Fall bleibt künftig immer die Frage bestehen, ob in Betrieben wirklich Tarifpluralität gegeben ist oder ob kleine und spezialisierte Gewerkschaften von Beginn an im Nachteil sind.